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Geschrieben von: 55555 am: 05.03.16, 19:03:45
Zitat:
Da ist zum Beispiel mein Vater, der immer zuverlässig anzeigt, was gerade die größte Sorge der breiten Mittelschicht ist – und der mich fragt, ob ich ein Pfefferspray brauchen könne. Meiner Schwester habe er schon eines gegeben. Heißt: Eine diffuse Angst vor Übergriffen ist gerade wirklich weit verbreitet. Da ist der Bekannte, der immer zuverlässig als Letzter Internet-Trends erkennt – und der damals irgendwann das Julia-Engelmann-Video gepostet hat. Heißt: Jetzt kennt es wirklich jeder. Da ist die ehemalige Klassenkameradin, die jede Facebook-Funktion ausprobiert – und die zum Beispiel diese seltsamen Widerrufs-Posts geteilt hat und bei ihren Statusmeldungen immer die „How are you feeling“-Einstellung nutzt. Heißt: Das machen Heavy-Facebook-Nutzer ohne kritische Grundhaltung eben so. Da ist die Freundin, die das Internet kaum nutzt – und die vieles, was in meinem Leben eine Rolle spielt, einfach nicht mitkriegt oder unwichtig findet. Heißt: So sieht die Welt für Menschen ohne Internet aus.

Fast jeder Mensch, den man um sich hat, ist für irgendetwas ein Gradmesser, mal ein zuverlässiger, mal einer, der nur ganz leicht ausschlägt. Genauso bin ich für meine Freunde und Familie sicher auch ein Gradmesser für etwas. So helfen wir uns gegenseitig, unseren eigenen Platz in der Welt zu finden und diese Welt zu verstehen. Darum sind diese Gradmesser-Menschen auch viel wichtiger als die Trendsetter und Early Adopter. Die sind eigentlich bloß Konsumforscher und kurbeln den Kapitalismus an, weil dann irgendjemand was kauft oder runterlädt oder ausprobiert, nur weil sie es machen. Trendsetter bauen zum einen also Druck auf, weil sie nur anzeigen, was sein wird. Und zum anderen sind sie, wenn man’s genau nimmt, langweilig und bemüht. Die Gradmesser zeigen hingegen an, was ist. Sie sind wichtige Bojen im großen Meer der Informationen, Ereignisse, Meinungen und Handlungsmöglichkeiten, an denen man sich orientieren kann. Nicht in dem Sinne, dass man ihnen nacheifert, wie den Trendsettern, sondern weil sie uns helfen, den Überblick zu bewahren. Sie leben in einem System, lassen sich von bestimmte Strömungen in diesem System mitreißen, man kann ihnen zuschauen, wie sie darin treiben, und daran erkennen: So läuft in diesem Bereich also gerade der Hase beziehungsweise fließt der Strom. Interessant!

Quelle