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Thema: treibende gedanken (http://perfektibilistenorden.de/topic.php?id=2380)


Geschrieben von: haggard am: 26.10.10, 20:19:16
motivation

mit faszinierten augen erblickt
der dürstende das feuchtgebiet
das dasein ward so lieblos geworden
eisig gar und gänzlich verlassen
inmitten dieser dürre gefüllt von trübsal,
depression beinah'
sich nie wieder zu erquicken
so schreitet er erst zögernd
dann doch zielstrebig zur tat

die behaarten beine in bizarrer ekstase
gen himmel gereckt
zum höhepunkt des spiels

erschlafft sie sodann
und fällt fast theatralisch zur seite -

tot ist sie
die gemeine stubenfliege

26.10.2010


Geschrieben von: haggard am: 28.11.10, 17:28:25
schwerhörige gedanken

sie sammeln schätze
manchmal finden sie auch gefallen
am wortschatz
ist dies so
sammeln sie auch kuckuckseier

sie geben sie nicht wieder her
auch wenn sie zu einem geschwür werden
das ihre seelen auffrisst

zu stolz auf ihr sammelsurium?

11/2010


Geschrieben von: haggard am: 07.05.11, 13:32:14
Das Lied vom Autistsein
(nach "Lied vom Kindsein")

Als der Autist Autist war,
ging er mit flatternden Händen,
wollte die Wiese sei ein Urwald,
der Urwald die Welt,
und dies Sandkorn das Universum.

Als der Autist Autist war,
wusste er nicht, dass er ein Autist war,
alles war ihm beseelt,
und alle Seelen waren eins.

Als der Autist Autist war,
war ihm vieles bedrohlich,
hatte daher viele Gewohnheiten,
war oft in Bewegung,
schrie, wenn er unverstanden war,
sah so aus wie jedes andre Kind
und ließ sich nie schön fotografieren.

Als der Autist Autist war,
war es die Zeit der Fragestellungen:
Ich bin ich, aber darf nicht ich sein?
Du bist du - und darfst du sein?
Warum sei es notwendig, zum Hören den andern anzusehn – die Augen können doch nicht hören?
Warum wird die Buchhaltung mit IST und SOLL auf den Menschen übertragen?
Das Leben ist ein Spiel wird oft zitiert, warum darf ich in meinem Spiel kein Zuschauer sein und weiter die Realität erkennen?
Ist die Gute Hand wirklich gut und die Knospe nicht vielmehr ein Dorn mit einer Spitze zu stechen wie eine Lanze, die am Kind gebrochen wird?
Wie kann es sein, dass ich, der ich auch ein Mensch bin,
gehalten und verstanden werde wie ein Tier - an der Leine ausgeführt wie im Zwinger aufbewahrt,
und dass ich als Tier mir noch ein zweites Mal und immer wieder,
meine Menschenrechte verdienen und erkämpfen muss?

Als der Autist Autist war,
waren ihm verschiedene Nahrungsmittel, Oberflächenstrukturen,
Lichter, Laute, Berührungen und Gerüche eine Pein,
und setzte sich diesen aus – nicht für sich selbst.

Als der Autist Autist war,
war jedes Gestern vergangen und jeder Morgen neu,
jeden Tag immer wieder,
erschienen ihm alle Menschen gut
und jetzt nur noch selten,
war Gleicher unter Gleichen
und kann es jetzt höchstens ahnen,
konnte sich nicht Alles denken
und schaudert heute davor.

Als der Autist Autist war,
kopierte er andere aus Verzweiflung
und jetzt, so ganz bei der Sache wie damals, nur noch,
wenn diese Sache eine als notwendig erachtete Erfordernis ist, um ungestraft zu bleiben.

Als der Autist Autist war,
genügten ihm die Dinge, mit denen er sich befasste,
und so ist es immer noch.

Als der Autist Autist war,
rieselte ihm der Sand durch die Finger wie nur Sand durch die Finger,
und jetzt immer noch,
bereiteten ihm Lichtspiele ein freudiges Entzücken im Gemüt,
und jetzt immer noch,
hatte er mit jeder Buchseite
die Sehnsucht nach noch mehr Wissen und Erkenntnissen,
und hinter jeder Biegung
die Sehnsucht nach einer weiteren Biegung,
und das ist immer noch so,
unter ärgster Belastung oder größter Freude zeigte er „autistisches“ Verhalten,
wie auch heute noch,
verletzte sich selbst in größter Not
und tut dies immer noch so,
hoffte darauf verstanden zu werden,
und hofft so immer noch.

Als der Autist Autist war,
verbreiteten andere falsche Vorstellungen über sein Sein,
und sie setzen sich heute noch fort.

05/2011


Geschrieben von: Wataru am: 07.05.11, 17:17:19
Danke Azrael für Dein Lied
ich glaube mich in diesem moment an mein sein bevor es gemacht wurde, besser zu erinnern. Schön


Geschrieben von: knebelgeist am: 11.11.11, 13:34:29
blatt im wind

andere menschen sehen in mir die meiste zeit ein ärgernis,
das beseitigt werden soll.
im frühling erscheine ich mal zu spät, mal zu früh.
im sommer nehme ich zu viel licht weg.
im herbst verschmutze ich die gärten und straßen.
im winter weiß ich manchmal nicht, wann schluss ist.
manchmal finden sie mich auch hässlich, wenn ich so ausgezehrt am baum hänge.
dabei waren sie es, die den baum nicht wässern wollten,
dessen wurzeln kein wasser erhalten,
weil die oberfläche bis zum stamm versiegelt wurde.

daher machen andere menschen viele dinge mit mir.

kleben mich auf andere blätter.
schichten mich mit anderen auf einen haufen.
verbrennen mich.
treiben mich mit gebläse von ort zu ort.
werfen mich in einen fluss und sehen zu wie ich abdrifte.
trampeln auf mir herum.

und sagen, dass all dies einem guten zweck dient.

ihre tätigkeiten müssen für sie sinnvoll sein.
doch sie sprechen mit pronominaler umkehr.
sie reden von mir, dass mein leben sinnvoll sein soll - obwohl sie das ihrige meinen.

dabei möchten sie nur gelobt werden.
gelobt, für die bilder, die sie durch mich erschaffen.
gelobt, für ihren fleiß, mich gebändigt zu haben.
gelobt, für das einhalten ihres zeitplans, der in meiner vernichtung gipfelt.
gelobt, für das austreiben meiner flausen.
gelobt, mich auf den "rechten weg" gebracht zu haben.
gelobt, mir gezeigt zu haben, wer die kontrolle über mich behielt.

"das sind die starken im lande.
die unter tränen lachen, ihr eigenes leid vergessen und andere fröhlich machen."

ja, die anderen sind fröhlich, wenn sie mit mir fertig sind.
verdrehen dabei noch die tatsachen. sagen, sie haben "damit" noch rechtzeitig angefangen.
sind "damit" noch rechtzeitig fertig geworden.
nicht, wir sind fertig mit ihm.
dritte person neutrum.
was ihnen so viel anteilnahme verschafft hat, müssen sie sich bis zum letzten warmhalten.
bis zum äußersten auskosten, ohne es in den augen derer zu übertreiben,
auf die es ihrer meinung nach ankommt.

was ist für mich sinnvoll?
lob benötige ich keines. denn ich bin selbstbewusst. seit jeher. vielleicht sogar mehr als sie es sind.
ich beklage und jammere nicht. denn das darf nur der wind, doch
genügte es für mich nicht, ein blatt im wind zu sein?

11/2011


Geschrieben von: knebelgeist am: 04.12.11, 10:49:29
myokardinfarkt

wenn die tage kürzer werden,
die finger vom kalten wasser erfrieren,
das herz zerrissen ist vor kummer und
der lichtengel kommt -
dann bleibt keine zeit mehr
für all die dinge, die ungetan sind.

"noch nicht..."

genügt dies als willensbekundung?
als verzweifelte bitte eines lebensmüden?

nicht gelebt.

der himmel weint, wenn es zeit ist.
es regnet.

12/2011