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Autor Nachricht
Altpapier
(Autistenbereich)

Das was Angehörige über ihnen nahestehende Autisten schreiben erscheint mir für meinen Geschmack oft zu vorverdaut. Vieles spiegelt eher die Meinung des Beschreibenden wieder als Einblicke zu gewähren aus denen sich der Leser ein eigenes Bild machen kann.

Darum fordere ich nun alle Angehörigen auf in diesem Thread einmal einen Tag oder einen sonstigen Zeitraum möglichst unvoreingenommen zu beschreiben. Was macht der Autist? Was fällt euch persönlich auf? Was versteht ihr nicht? Was freut oder stört euch? Wie reagieren andere Menschen? Versucht den Schubladenmuff zu vergessen und selbst hinzusehen. Es ist hier nicht wichtig Schlußfolgerungen aus Beobachtungen zu erzeugen, sondern die reine Beobachtung selbst wiederzugeben. Letztlich vermute ich, daß es allen nutzt. freuen
06.12.06, 13:22:56
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Mamatom
(Angehörigenbereich)

Einen ganzen Tag kann ich nicht wiedergeben - das ist zu aufwendig. Ich schreibe nur von einer Stunde heute:

Tom beim Ohrenarzt (Hörtest)...

Mama hält Tom die Tür auf. Ein Aufzug. Tom drückt gleich den Knopf und stellt sich ca. 2 mm davor. Die Tür geht auf. Tom hüpft rein und Mama zeigt ihm, welchen Knopf er drücken muß. Die Tür geht zu. Wieder hält er seinen Kopf ganz dicht an die Tür und guckt solange zu, bis die Tür sich ganz geöffnet hat. Links rein zum Ohrenarzt. Nun ins Wartezimmer. Tom sucht gleich das 'Vorfahrt-Achten-Schild'. Wo ist es ??? Er läßt sich von Mama ablenken. Dann läuft er aus dem Wartezimmer. Den Flur entlang, wo weitere Patienten warten. Die schauen ihn an, lächeln. Er läuft an ihnen vorbei. Schaut auf die Wände, die Bilder. Am Ende dreht er um und läuft zurück - er lächelt niemanden an. Bei Mama angekommen sagt er: "Ein Tunnel!" (Damit meint er den Flur). Zurück ins Wartezimmer. Wo ist das Schild ??? Wir finden es nicht. Tom flippt aus und wirft die Bauklötze hoch. Alle Wartenden schauen - zu Mama, zu Tom. Zum Glück trifft er niemanden mit den Klötzen. Mama nimmt Tom auf den Schoß. Er zappelt, rutscht runter und will hinaus laufen. Ein älterer Herr hält ihn fest. Tom schreit sofort los: "NEIN, MAMA!" Der ältere Herr lässt sofort los und Mama geht mit Tom wieder in den Flur. Dann sind wir endlich an der Reihe. Die Helferin bringt uns in ein Behandlungszimmer und sagt, dass Tom sich auf die Liege setzen soll. Da ist schon alles zu spät. Tom schreit nur noch. Läuft wild durch den Raum. Keiner darf ihn anfassen. Als Mama ihn doch einfängt, kratzt er ihr durchs Gesicht und krallt sich mit einer Hand in den Haaren fest. Die Helferin schaut nur fassungslos zu. Mama redet auf ihn ein. Die Helferin redet auf ihn ein. Nichts. Er schreit und schlägt um sich. Die Helferin sagt zu Mama, dass das keinen Sinn hat, wir bekommen einen neuen Termin - in drei Monaten. Die Tür des Behandlungszimmers geht auf, Tom tritt heraus und ist ganz ruhig - als wäre nichts geschehen. Mama bekommt noch einen Zettel und wir gehen wieder zum Aufzug.

Das wars

Michaela

www.winkels-five.homepage.t-online.de
07.12.06, 19:09:31
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Mamatom
(Angehörigenbereich)

Vielleicht sollte ich noch dazu schreiben, dass Tom mit niemanden gesprochen hat (außer mit Mama) und niemanden angesehen hat. Auch der Helferin hat er nicht geantwortet und sie nicht angeschaut.

www.winkels-five.homepage.t-online.de
07.12.06, 19:12:32
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Altpapier
(Autistenbereich)

Oh, schön, so ungefähr finde ich das wesentlich aussagekräftiger, gerne auch mit noch mehr Detailschilderungen. freuen
Zitat von Mamatom:
Wieder hält er seinen Kopf ganz dicht an die Tür und guckt solange zu, bis die Tür sich ganz geöffnet hat.

Es mag Zufall sein, aber das habe ich auch mal gerne gemacht.
Zitat:
Die Helferin bringt uns in ein Behandlungszimmer und sagt, dass Tom sich auf die Liege setzen soll. Da ist schon alles zu spät. Tom schreit nur noch. Läuft wild durch den Raum. Keiner darf ihn anfassen. Als Mama ihn doch einfängt, kratzt er ihr durchs Gesicht und krallt sich mit einer Hand in den Haaren fest. Die Helferin schaut nur fassungslos zu. Mama redet auf ihn ein. Die Helferin redet auf ihn ein. Nichts. Er schreit und schlägt um sich. Die Helferin sagt zu Mama, dass das keinen Sinn hat, wir bekommen einen neuen Termin - in drei Monaten. Die Tür des Behandlungszimmers geht auf, Tom tritt heraus und ist ganz ruhig - als wäre nichts geschehen.

Aus dem Text und der Homepage schließe ich, daß Tom Schranken und Schilder mag. Als lockere Idee fände ich es interessant zu versuchen ein Schild zum mitnehmen zu etablieren, das signalisiert ruhig sitzenbleiben zu müssen. Vielleicht klappt es, vielleicht auch nicht, keine Ahnung.

Warum spricht die Arzthelferin mit ihm und nicht du? Es wäre wohl sinnvoll mit dem Team beim Ohrenarzt vorher spezielle Verhaltenregeln zu vereinbaren. Etwas hat ihn aus der Fassung gebracht wie man unschwer herauslesen kann. Bringt es manchmal etwas auf ihn in so einer Situation noch einzureden? Tendentiell würde ich raten das sein zu lassen. War Tom darüber informiert was beim Ohrenarzt passieren sollte und warum er sich da hinsetzen sollte? Welche Erfahrungen hat er bereits mit Ärzten und sonstigen Szenarien gemacht? Hat er immer schon derartig reagiert?

Worin sehen Ärzte Hinweise auf geistige Behinderung? Ich kann bisher keine Hinweise darauf erkennen, auch nicht aus dem Inhalt der Homepage.
07.12.06, 22:09:55
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Mamatom
(Angehörigenbereich)

Hallo 'Altpapier',

erst einmal finde ich es toll, was Du so alles herausliest, verstehst und Hinweise gibst !!! Merci !!!

Ich glaube zu verstehen, wie Du das mit dem Schild meinst. Er bekommt zu Weihnachten Schilder geschenkt. Es wird das gleiche Prinzip sein, wie ich versuche ihm das Sprechen (gezieltes Sprechen) beizubringen.

Nicht nur die Arztherlferin hat mit ihm gesprochen - ich natürlich am meisten. Aber es ist immer das gleiche. Es kommt nichts mehr an - Tom will nur aus dieser Situation heraus. Und nein, es bringt eigentlich nichts, auf ihn einzureden.

Ich hatte Tom wochenlang auf diesen Termin vorbereitet. Kopfhörer gekauft und sie ihm zwischendurch immer wieder aufgesetzt. Er schien diese Momente auch zu genießen. Er kann ja hören. Wir haben vom SPZ eigentlich die Anweisung, den Hörtest unter Sedierung machen zu lassen. Doch auch unser Ohrenarzt hofft, dass wir es evtl. so schaffen könnten. Gerade weil er bei der letzten Untersuchung etwas ruhiger war.

Welche Erfahrungen er mit Ärzten gemacht hat ? Das ist eine gute Frage. Wir waren oft beim Arzt. Er hat auch alle Impfungen bekommen. Aber es gab keine besonderen Momente, die sein jetziges Verhalten erklären könnten. Als er begriffen hatte, wer der Arzt ist, bekam er Panik. Einfach so. Er klammerte sich an mir fest und wollte nicht auf dem Behandlungstisch liegen, stehen oder sitzen. Sobald unser KiA dann hereinkam, hat Tom sich erbrochen. Soweit ich zurückdenken kann, war jede Untersuchung der blanke Horror. Wir mussten ihn immer mit mehreren festhalten.

Sobald Tom jemanden in weissen Arztsachen sieht, bekommt er zuviel. Es ist unmöglich bei ihm nur Blutdruck zu messen. Auch das wurde im KH unter Narkose gemacht. Zudem hat er im KH einen Aufstand gemacht, sobald eine Schwester ins Zimmer kam. Selbst wenn sie nur die Betten gemacht hat. Tom schaltet dann scheinbar ab. Oder wie ich sage: er hat dann Scheuklappen an und sieht nur diese furchtbaren Personen, die verschwinden sollen - sonst nichts.

Das Thema geistige Behinderung kam im SPZ auf. Die zuständige heilpädagogin sagte mir: "Ich denke, es liegt hier kein Autismus vor. Und seien sie froh, denn das wäre etwas für immer. Ich denke er ist geistig behindert." PUNKT. Ich war fassungslos und habe nicht weiter nachgefragt. Kann man einem Kind wirklich nach wenigen Minuten ansehen, ob es Autist ist - ob es geistig behindert ist ???

Nun haben wir das in der Diagnose stehen und ich nehme das nicht ernst, denn für mich gibt es keinen Hinweis auf eine gestige Behinderung. Dafür sind Toms spezielle Auffälligkeiten zu stark: Echolalie, Vorliebe für drehendes 'Spielzeug' (Waschanlagen, Schranken, Tunnel) und ständiges hin- und herlaufen.




www.winkels-five.homepage.t-online.de
08.12.06, 09:15:50
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uppsdaneben
(Autistenbereich)

Zitat von Mamatom:
zuständige heilpädagogin sagte mir: "Ich denke, es liegt hier kein Autismus vor. Und seien sie froh, denn das wäre etwas für immer. Ich denke er ist geistig behindert."


Geistige Behinderung ist heilbar?
08.12.06, 10:08:41
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Altpapier
(Autistenbereich)

Falls das mit dem Schild überhaupt funktionieren sollte würde ich raten das Mittel nicht überzustrapazieren. Wenn er sich derart benimmt macht er das vermutlich, weil ihm etwas entsprechend schrecklich vorkommt und das bleibt dann auch so. Ich habe mich als Kind selten gewehrt, ob das für mich vorteilhaft war, ist eine andere Frage. Manche Autisten vertragen nicht so viel Weiß und Neonbeleuchtung, weil es sie blendet. Es wird vielleicht keinen alleinigen Anlaß für ihn geben sich mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen, aber es ist wohl der sinnvollste Ansatz zu überlegen was sowas sein könnte und dann versuchen das zu reduzieren oder zu umgehen.
Zitat von Mamatom:
Nicht nur die Arztherlferin hat mit ihm gesprochen - ich natürlich am meisten. Aber es ist immer das gleiche. Es kommt nichts mehr an - Tom will nur aus dieser Situation heraus. Und nein, es bringt eigentlich nichts, auf ihn einzureden.

Probiert es mal damit, daß so wenige Personen wie möglich mit ihm reden und der Arzt ihm vorher alles genau erklärt was er tun will und ihn um Erlaubis fragt, damit er möglichst das Gefühl hat die Situation unter Kontrolle haben zu können. Das Alter ermöglicht dies bereits soweit ich es verstanden habe. Ist Kontrolle über eine Situation nicht der Fall kann der Eindruck für einen Autisten sehr schlimm sein. Freu dich, daß er sich wehrt, das ist eine gesunde Reaktion und ermöglicht zu erkennen, wenn ihn etwas überfordert. Es geht ja auch um ihn und seine Empfindungen hoffe ich und nicht nur darum keine Probleme mit ihm zu haben. Für seine Entwicklung ist es wahrscheinlich eminent wichtig dieses Verständis möglichst weitreichend zu erlangen und seinen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, auch wenn sie gegen übliche Ordnungen verstoßen. Betäubungen halte ich für keine vertretbare Dauerlösung, daher rate ich dazu sich zu bemühen davon wegzukommen.
Zitat:
Gerade weil er bei der letzten Untersuchung etwas ruhiger war.

Was war das für eine Untersuchung? Wie war diese Situation oder der Tag allgemein abgelaufen?
Zitat:
Aber es gab keine besonderen Momente, die sein jetziges Verhalten erklären könnten.

Du hast keinen erkannt.
Zitat:
Wir mussten ihn immer mit mehreren festhalten.

Vielleicht erinnert er sich an solche Gewaltaktionen?
Zitat:
Das Thema geistige Behinderung kam im SPZ auf. Die zuständige heilpädagogin sagte mir: "Ich denke, es liegt hier kein Autismus vor. Und seien sie froh, denn das wäre etwas für immer. Ich denke er ist geistig behindert."

Solchen Schrott bekommen viele Autisten und ihre Angehörigen oft zu hören. Immer wieder wurde auch bei einigen jahrelang mit schweren Medikamenten fehlbehandelt bevor Autismus diagnostiziert wurde. Das ist wohl leider einfach so, daß sich jede Putzfrau bemüßigt fühlt ihren Senf dazuzugeben und jeder Arzt so wenig fähig zu qualifizierter Differentialdiagnostik er auch sein mag.
08.12.06, 13:58:23
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Silvana
(stillgelegt)

Ich will auch noch meinen Semf dazu geben, auch wenn ich keine Putzfrau bin zwinkern (ist hier als Scherz gemeint)

Aber vielleich kann man ja mal mit dem Arzt reden, wie man solche Untersuchungen für den Jungen angenehmer machen könnte.
z.B. das er auf seinen weissen Kittel verzichtet.
Die Behandlung ganz am Anfang oder ihn als letzten Patienten in die Sprechstunde nehmen, so das er nicht im Wartezimmer noch warten muss.
Ihm die Untersuchungsinstrummente zeigen und anfassen lassen, das sie Deinem Sohn nicht mehr so fremd vorkommen.

Das alles setzt natürlich auch voraus das der Artzt mitarbeiten möchte, und das man ihm Vertaut. Also ich glaube mein derzeitiger Hausarzt würde das tun.

Unendliche Manigfaltigkeit, in unendlicher Kombination

-

Stillgelegt auf eigenen Wunsch, mfg [55555]
08.12.06, 22:38:34
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Altpapier
(Autistenbereich)

Das mit der Putzfrau war ein Symbol dafür, daß manchmal jeder der einem nur irgendwie über den Weg läuft meint seine psychologischen Kenntnisse ausbreiten zu müssen. Gewissermaßen gilt das auch für uns im Forum, aber wir haben schon noch einen anderen Bezug zu der Sache, denke ich.
09.12.06, 14:13:41
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Mamatom
(Angehörigenbereich)

Die Idee mit dem alleine kommen lassen ist sicher sehr gut.

Das Verhalten in Arztpraxen ähnelt dem Verhalten beim Friseur - nur ein wenig abgeschwächter. Er rutscht dort sofort wieder vom Stuhl, wenn ich ihn darauf setze. Er schreit und läuft weg. Da die abgeschnittenen Haare (er trägt keinen Umhang) kitzeln und pieksen, zieht er sich oben herum immer aus. Die Friserin folgt ihm, wenn es sein muß setzt sie sich zu ihm auf den Boden.
Nun hatten wir den letzten Termin um 19.30 Uhr - der Friseursalon war abgeschlossen und kein Kunde dort. Nur Tom, Mama und die Friseurin. Es war immer noch sehr kaotisch, aber doch um einiges besser und ruhiger. Besonders weniger Geschreie. So werden wir das jetzt immer machen !

Deshalb kann ich mir vorstellen, dass auch bei anderen Terminen diese Vorgehensweise teilweisen Erfolg bringen kann.

Das er sich so verhält, stört mich nicht, aber er kann sich in den Momenten doch nicht wohl fühlen und leider, leider müssen untersuchungen ja sein.

www.winkels-five.homepage.t-online.de
09.12.06, 15:45:33
Link
Mamatom
(Angehörigenbereich)

kaotisch ist falsch !!!
richtig: chaotisch !!!
sorry !!!

www.winkels-five.homepage.t-online.de
09.12.06, 15:47:23
Link
55555
(Fettnäpfchendetektor)

Du kannst Fehler auch über "ändern" editieren.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
09.12.06, 16:53:54
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