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Geschrieben von: 55555 am: 27.11.15, 23:46:55
Zitat:
Wieder ein Montag der üblichen Muttersorgen? Nein, meine ich, nicht wirklich, da sie doch jetzt, ohne Trisomie 21, erwachsen wäre und selbstverantwortlich sein könnte. Ich könnte sie dem Leben überlassen, sie ihre eigenen Erfahrungen machen lassen, Vertrauen in ihre Intelligenz und ihre Instinkte haben. Schliesslich habe ich sie ja erzogen und ihr Werte vermittelt. Ich hätte keine Sorgen, weil sie jung und fit wäre für das Leben.

Mache ich mir als Mutter einer speziellen Tochter mehr Sorgen um sie und ihre Zukunft? Oder sind diese nur anders gelagert? Wie es so meine Art ist, kann ich lange bei diesen Betrachtungen verweilen, mich durchforschen, in der Hoffnung, eine schlüssige Antwort zu finden. Tatsächlich find ich nicht immer eine, und manchmal überlasse ich es dem Lauf der Dinge und der Zeit.

Seit dieses Kind auf der Welt ist, habe ich immer wieder erfahren müssen, dass geistige Behinderung/Beeinträchtigung – es wird ja immer noch um das passende Vokabular gerungen – nicht immer fassbar ist. Manchmal haut es mich von den Socken, wozu sie fähig ist, reist mit dem Zug in der Gegend herum, sucht sich im Internet selber die passenden Fahrpläne raus, steigt am liebsten am Hauptbahnhof um, weil da am meisten Betrieb ist, und findet sich wunderbar zurecht. Dann wieder verirrt sie sich plötzlich in einem Quartier, das sie eigentlich kennt… und hundertmal schon haben wir ihr die Vorzüge der Körperhygiene und von sauberer Kleidung dargelegt und sie will es nicht wissen. Schmuddelig sein erzeugt Nasenrümpfen und zu viele Süssgetränke und Hamburger machen dick. Menschen gehen auf Abstand und wenn sie sich komisch anzieht, sieht sie dann wirklich seltsam aus und wird angegafft. Ich wills verhindern, war schon immer der Meinung, dass sie besser akzeptiert und integriert ist, wenn sie hübsch aussieht.

Echt jetzt? Wo ist meine Akzeptanz? Bin ich tatsächlich dem alten Klischee aufgehockt, dass solche Menschen immer so komisch gekleidet sind, weil ihre Eltern oder Betreuungspersonen meinen, sie müssten sich mit «Möngis» keine grosse Mühe geben? «Darum haben die doch auch immer so komische Haarschnitte.»

Aber jetzt mal halblang. Jetzt tue ich mich gerade besonders schwer! Wie so manche Mutter hatte ich einfach Freude meine Kinder nett anzuziehen. Irgendwann klappt es dann nicht mehr, denn die Kinder entwickeln ihren eigenen Geschmack, auch die mit Downsyndrom.

[...]

Gestern Abend, beim Nachtessen, verkündete sie, sie wolle jetzt auch Autofahren lernen wie ihre Brüder. «Nein, das kannst du halt nicht.» Die Aufmunterung, die unsere Betroffenheit generierte, folgte sofort: «Dafür kannst du Dinge, die andere nicht können.» Wie leer und abgedroschen mir diese Erklärung in den Ohren klingt! Sie sagte nichts mehr und uns fiel auch nichts Besseres mehr ein.

Quelle