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Autor Nachricht
kiara
(Standard)

Hallo, ich bin neu in diesem Forum und möchte mich erst einmal kurz vorstellen:
Ich bin 31 und Mutter von zwei Kinder, eines, meine erstgeborene Tocher, mit Asperger-Autismus + ADS, eines ist Nicht-Autistin. Ich selbst bin ADSlerin, es gibt allerdings mehrere Autisten in meiner Familie.

Meine große Tochter hat einen langen Weg hinter sich, bis jetzt führte er stets nach vorne. Von völliger Isolierung, schweren Panikattacken und fast vollständiger Sprach-und Kommunikationsunfähigkeit im Kleinkindalter bis zum 4. Lebensjahr hat sie sich bis jetzt, 9 Jahre alt, stark entwickeln können. Sie hat zahlreiche Freunde, ist sehr kommunikativ, besucht eine Regelschule. Das Leben ist nach wie vor schwierig für sie, es gibt immer wieder stressige Lebensphasen, Situationen, die alles von ihr (und uns) abverlangen. Alles Neue bedeutet immensen Leidensdruck, Anforderungen in der Schule kann sie trotz deutlich hohem Intellekt nicht konstant gerecht werden. Ihr Kopf ist wie ein Palast mit tausenden von Türen, hinter jedem liegt ein reicher Schatz verborgen ... aber sie hat nicht immer den Schlüssel bereit.
Geistige Vollblockaden, Panikattacken, dazu extremer Unwille, Leistung zu erbringen, die sie gerade in dem Moment als lästig empfindet kennzeichnen ihren Alltag.
Nun hatte sie das Glück, auf einer winzigen Grundschule lernen zu dürfen, mit verständnisvollen Lehrern, in quasi familiärer Atmosphäre. Das ihre Schrift quasi unleserlich ist, dass sie oft doppelt so lange braucht wie die anderen, ihre Sachen nicht sortieren kann, immer mal wieder geistig abschaltet, das alles wurde toleriert. Sie fühlt sich wohl in ihrer Klasse, ist gut akzeptiert, hat zahlreiche Freundinnen dort. Wenn sie einen Entwicklungsschub hat und quasi in all ihren Fähigkeiten um 5 Jahre zurückzuschreiten scheint, nimmt das niemand tragisch. Wenn sie in Panik verfällt, findet sich immer jemand, der sich um sie kümmert, bis es ihr wieder gut geht. Sie wird dort gefördert, gefordert, auch mal über die Grenzen getrieben, noch optimaler ist es überhaupt nicht möglich.
Aber nun ist sie in der 4. Klasse, und ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Niemand weiß es so Recht.
Vom Intellekt her gehört sie auf das Gymnasium, aber das steht überhaupt nicht zur Debatte - die immense Leistungsforderung, die man dort an sie stellen würde, könnte sie nicht einmal im Ansatz leisten.
Die hiesigen Realschulen haben alle einen mathematischen/naturwissenschaftlichen Schwerpunkt. Sie hat aber eine leichte mathematische Teilleistungsstörung, ihre Interessengebiete sind Sprachen, Geschichte und Musik.
Die hiesigen Hauptschulen sind so schlecht gefördert, alle Lehrer haben entsetzt abgewunken - BLOSS NICHT!
Tja. Dann wäre da noch eine Gesamtschule, mit der in den nächsten Tagen Kontakt aufnehmen möchte.
Vorteile:
-Ortsnah
-Ihre ältere Cousine, zu der sie guten Kontakt hat, besucht diese Schule und könnte ihr helfen sich zu orientiern
-Förderprogramme für verschiedene Schwerpunkte, auch Sprachen und Musik
Nachteile:
-Ganztagsbetrieb - sie müsste dort Mittagessen (und wäre somit zu Hungerphasen verdammt, ihre Ernährung ist eine der größten Herausforderungen meines Lebens!)
- außerdem müsste ich ihre ADS-Medikation umstellen lassen, sie hat kein Zeitgefühl und denkt nicht selbständig an die Nachmittagsdosierung.
- Extrem große Schule für unsere Verhältnisse, fast 1000 Schüler, zahlreiche Gebäude

Sorge: In solch einer "Lernfabrik" wird man kaum die Ressourcen haben, Rücksicht auf die Spezialitäten und Besonderheiten eines einzelnen Kindes zu nehmen ... Meine Süße braucht Rituale, überblickbare Handlungsabläufe, möglichst wenig Neuerungen auf einmal. Rücksicht auf ihr Schriftbild, Geduldige Erklärungen bei Dingen, die dem "Normalmensch" völlig logisch erscheinen, ausreichend Zeit, beharrliche Forderung, wenn sie auf stur schaltet ...
Kann man ihr das alles bieten?

Ich fürchte, nein. traurig

Damit wäre ich auch am Ende der Möglichkeitenpalette der Regelbeschulung angelangt. Die Klassenlehrerin überlegte, ob Montessori eine Alternative sein könnte. Ist es aber nicht. Die einzige Einrichtung in gerade noch erreichbarer Nähe ist eine Privatschule, die 10% vom Nettoeinkommen verlangt - haben wir nicht, mein Mann studiert. Dazu die täglichen Fahrten, dann ist meine Tochter noch nicht in einer Montessori-Einrichtung gewesen - bringt nichts.

Einzige erreichbare Integrativschule wäre eine Sprachheilschule, ca. 30 km entfernt. Die Lehrer winkten ab - was soll meine Tochter inmitten von Kindern, die teilweise kein einziges Wort stammeln können? Es würde sie persönlich nicht fördern, sondern zurückwerfen, nachdem wir jahrelang darum gekämpft haben, dass sie sprechen lernt (und es jetzt so perfekt kann, dass sie sprachlich ihrem Altersschnitt um 4 Jahre voraus ist).
Vor dem letzten für mich ersichtlichen Schritt schrecke ich zurück. Ich könnte zum behandelnden Kinderpsychiater in "unserem" Sozialpädiatrischem Zentrum gehen und bitten, das NRW-Autisten-Programm abzuspulen. Meine Tochter eben offiziell als behindert einstufen lassen.
Damit würde ich Hilfe bekommen, jede nur erdenkliche Hilfe. (Zumindest hat der gute Mann es in den schillernsten Farben für uns ausgemalt, Schulbegleitung, Sozialpädagogen, das ganze Programm ...).
Aber meine Tochter hat solch ein immenses Entwicklungspotential gezeigt, es noch lange nicht ausgeschöpft, dass er selbst geraten hat, diesen Schritt erst als letztes zu wagen. Ja, die Pubertät liegt noch vor uns. Diese Jahre, die ich mehr fürchte als alles andere. Ich weiß nicht, was da auf mich zukommt, ob es schlimm wird, ob meine Tochter vielleicht abrutscht, ich weiß es nicht.
Das hilft mir nicht, JETZT die richtige Entscheidung zu treffen. Brauche ich jetzt schon ein ausgeklügeltes Hilfsprogramm, für den Fall, dass ich meine Tochter sonst in keine schulische Einrichtung unterbringen kann? Muss ich sie jetzt schon als behindert einstufen lassen und ihr damit Steine in den zukünftigen Weg legen, obwohl wir eigentlich alles wunderbar im Griff haben, es ihr gut geht? Muss es wirklich am mangelnden Regelschulangebot scheitern, einem Kind, das zwar Handicaps hat, die ihm das Leben erschweren, aber beim besten Willen in keiner Form behindert ist, einen normalen Schulweg zu bieten? Meine Tochter braucht niemanden, der ihr die Hand hält und sie auf den Armen durch die Schule trägt. Sie braucht nur ein bisschen mehr Zeit und Toleranz.

Mache ich mir zuviele Sorgen? Ist die offizielle Behinderteneinstung vielleicht gar nicht der Schrecken, der Klotz am Bein, als den ich es fürchte?
Gibt es Alternativen, die ich noch nicht sehe? Bitte antwortet mir, egal wie kurz.
24.10.07, 21:53:31
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Mutter
(Autistenbereich)

Soweit ich weiß, sind die Nachteilsausgleiche unabhängig von der Feststellung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs-

Diese Nachteilsausgleiche können Regelungen schaffen, die es deiner Tochter ermöglichen, auch in einer solch großen Schule zurecht kommen zu können.

Mein Sohn (8) ist ebenso an solch kleiner Grundschule und bekommt jetzt nach den Ferien einen Lehrplan. Die Nachteilsausgleiche werden festgeschrieben und der SPF wird beantragt, da ich davon ausgehe, dass er eine weiterführende Schule ohne Schulbegleitung nicht schaffen kann.

Die Bearbeitungszeit solcher Prozesse dauert enorm lange, so würde ich es in jedem Falle beantragen, ob du es später wirklich nutzen willst, kannst du dir immer noch überlegen. Lösungen, die später aus der Not heraus geboren werden, sind immer nicht so gut, wie jene, die in Ruhe durchdacht und gefunden wurden-
25.10.07, 06:32:20
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kiara
(Standard)

Was genau sind Nachteilsausgleiche? Und mit welchen Zeiträumen muss ich für den Prozess so durchschnittlich rechnen?
25.10.07, 10:47:06
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Mutter
(Autistenbereich)

Nachteilsausgleiche werden zusammen von der Schule, Eltern und dem zuständigen Integrationsbeauftragten festgelegt. Sie sollen einen Hilfeplan darstellen, der explizit auf das jeweilige Kind ausgerichtet ist.

Nur, um mal ein paar zu nennen: Wenn dein Kind mehr Zeit braucht, um Aufgaben zu erledigen, steht dies ihm zu. Wenn die Handschrift schwer zu lesen ist, das Kind sich ohnehin schwer damit tut zu schreiben (Feinmotorik) kann es Aufgaben am PC erledigen. Es kann eine Möglichkeit geschaffen werden, dem Kind einen Rückzug zu schaffen, wenn es ihm innerhalb der Klasse zuviel wird. Die Unterrichtsstunden können verringert werden, ebenso der Umfang der Hausaufgaben. Es ist auch möglich das Kind an bestimmten Tagen von den Hausaufgaben zu befreien, wenn es an jenen Tagen Termine hat. Wird z.B. eine Hippo-Therapie gemacht, besteht die Möglichkeit, das Kind vom Sportunterricht zu befreien. Es gibt noch viele andere Ausgleiche, sie sollen dem Zweck dienen, dass die Kinder die Regelschule besuchen können, variieren aber sicherlich in den Bundesländern.

Die Feststellung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs läuft bei uns so, dass die Kinder nach den Herbstferien gemeldet werden, im Frühjahr des nächsten Jahres erfolgt dann eine Prüfung / Einschätzung - die konkreten Maßnahmen beginnen dann im darauffolgenden Schuljahr. Sicherlich kann man dies Procedere verkürzen, wenn man in einer aktuten Notfall-Situation sein sollte.
25.10.07, 14:58:52
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arlette
(Autistenbereich)

Zitat von kiara:
Sie braucht nur ein bisschen mehr Zeit und Toleranz.

um ihr dies zu verschaffen, brauchst du ev. die angebotenen hilfestellungen. vesruche, deine anliegen klar durchzusetzen und klär ab, ob dies möglich ist.
26.10.07, 10:04:38
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Mutter
(Autistenbereich)

Diese Hilfsmaßnahmen stehen ihr zu, damit sie die gleichen Chancen bekommt, die die anderen Kinder auch haben.
27.10.07, 06:24:05
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