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Über die unendlich langen informationshaltigen Haare der schwarzen Löcher

original Thema anzeigen

26.01.16, 19:42:51

55555

geändert von: 55555 - 26.01.16, 19:44:41

Zitat:
Seth Fletcher: Physiker können mit allerlei wahnsinnig klingenden Vorstellungen leben, aber nicht mit der Idee, dass Schwarze Löcher Informationen vernichten. Warum können sie genau das nicht akzeptieren?

Andrew Strominger: "Schwarze Löcher vernichten Informationen" würde bedeuten, dass die Welt nicht deterministisch ist. Das heißt, aus der Gegenwart kann Zukünftiges nicht perfekt vorhergesagt werden, und sie kann auch nicht verwendet werden, um die Vergangenheit zu rekonstruieren. Beides ist aber sozusagen die Essenz dessen, was ein physikalisches Gesetz ausmacht. Denken wir zurück an Galileo oder noch früher: Die Idee eines physikalischen Gesetzes war bereits immer, dass Sie zunächst einen Körper in einem gewissen Zustand betrachten und daraus mit Hilfe von physikalischen Gesetzen entweder bestimmen, was der Körper in Zukunft macht, oder, wie er in den gegenwärtigen Zustand gekommen ist. Falls Schwarze Löcher Informationen zerstören, ist das aber nicht mehr möglich. Das hätte enorme Auswirkungen. Wir könnten physikalische Gesetze nicht mehr in der Art und Weise benutzen, um die Welt um uns herum zu beschreiben, wie wir es für Tausende von Jahren gewohnt waren. Aber nur weil es gravierende Auswirkungen hätte, bedeutet das natürlich nicht, dass es unmöglich ist. In gewisser Weise ist die Geschichte der Physik eine Geschichte des Überbordwerfens von Vorstellungen, die sich als nicht zutreffend herausstellten. Wir dachten, Raum und Zeit wären absolut. Wir dachten, die Erde sei Mittelpunkt des Universums. All diese Dinge schienen lange ganz offensichtlich und wohl verstanden. Doch eines nach dem anderen blieb auf Strecke. Das könnte auch dem Determinismus widerfahren. Allein die Tatsache, dass das Universum einen Anfang hat, scheint ein Widerspruch zu einem deterministischen Weltbild zu sein. Denn wenn es nichts gibt, es aber dann plötzlich doch etwas gibt, dann ist das nicht deterministisch. Über Determinismus sollte also diskutiert werden. Als Hawking zum ersten Mal mit seiner Aussage [dass Schwarze Löcher Informationen vernichten] an die Öffentlichkeit ging, glaubten in der Tat viele Menschen, das Ende des Determinismus sei gekommen.

[...]

In meinen früheren Arbeiten habe ich gesagt, auf Grund der von mir entdeckten Erhaltungssätze müssen Schwarze Löcher eine Art von "Haar" haben. Aber ich wusste nicht wirklich, wie man dies mit Gleichungen beschreiben kann. Und das haben wir nun verstanden: wie man es beschreiben kann und wie man Berechnungen anstellt.

In der aktuellen Publikation bezieht sich "softes Haar" auf softe Photonen und Gravitonen. Was bedeutet soft in diesem Zusammenhang?

Soft bedeutet nicht sehr viel Energie oder keine Energie. Diese Begriffsbedeutung existiert bereits ungefähr seit den 1960er Jahren. Das entscheidende Detail ist: Wenn man dem Vakuum ein Photon mit etwas Energie zufügt, dann erhält man einen neuen Zustand. Es ist ein anderer Quantenzustand mit der Energie E und einem anderen Drehimpuls, weil das Photon einen Spin hat. Jetzt nehmen wir an, es gäbe ein Limit, wo diese Energie auf null geht. Dann gibt man etwas ins Vakuum, das keine Energie hat. Dann ist es immer noch ein Null-Energie-Zustand, aber sein Drehimpuls hat sich geändert. Ist das nun ein neuer Zustand oder der gleiche Zustand, oder was ist es? Was fangen wir damit an?

Zunächst muss man sehr präzise definieren, wann zwei Zustände tatsächlich unterschiedlich sind. Genau das habe ich getan – und zwar in einer Weise, von der ich glaube, dass theoretische Physiker damit einverstanden sind. Ich konnte zeigen, dass es tatsächlich ein anderer Zustand ist und dass die verschiedenen Zustände symmetrisch sind. Mit dieser Symmetrie wiederum sind Erhaltungssätze assoziiert. Ich denke, es ist allgemein anerkannt, dass diese Beschreibung korrekt ist.

Das ist also ein softes Teilchen – ein Teilchen, das keine Energie hat. Und wenn die Energie auf null abfällt, kann es sich auch über eine unendlich große Entfernungen ausbreiten, da die Energie proportional zur Wellenlänge ist. Wenn Sie so wollen, dehnt es sich über das ganze Universum aus und noch weiter. Es läuft irgendwie über die Grenze hinaus. Wir lernen daraus, dass ein Null-Energie-Teilchen im Vakuum einem neuen Zustand entspricht. Und so gibt es unendlich viele Vakuumzustände, die durch die Zugabe von soften Photonen oder auch soften Gravitonen einen anderen Zustand annehmen. In der vorliegenden Arbeit zeigen wir, dass dies auch für die Schwarzen Löcher gilt. Und in diesem Sinne haben Schwarze Löcher "Haare": Sie können eine unterschiedliche Anzahl von soften Photonen oder soften Gravitonen auf sich haben.

In Ihrer Arbeit argumentieren sie, dass diese Teilchen, die gemeinsam das "softe Haar" formen, auf dem Schwarzen Loch durch die so genannte Supertranslation deponiert werden. Können Sie diesen Prozess genauer erklären?

Der Horizont eines Schwarzen Lochs hat die seltsame Eigenschaft, dass es sich um eine Kugelfläche handelt. Und diese dehnt sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Für jeden Punkt auf der Kugelfläche existiert ein Lichtstrahl – sie ist also aus Lichtstrahlen zusammengesetzt. Aber auf Grund der Schwerkraft und der Krümmung des Raumes wird sie nicht größer. Und – nebenbei bemerkt – deshalb kann auch nichts aus dem Inneren eines Schwarzen Lochs entkommen; weil sich bereits der äußere Rand des Schwarzen Lochs mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnt.

Wie wir alle wissen, gibt es diese eine Symmetrie des Schwarzen Lochs, in der man sich gleichmäßig vorwärts und rückwärts in der Zeit entlang aller Lichtstrahlen bewegt. Aber es gibt noch eine andere Symmetrie. Sie ist quasi das Neue in unserer Arbeit (auch wenn verschiedene Formen davon bereits an anderer Stelle besprochen wurden). Es handelt sich um eine Symmetrie, in der die einzelnen Lichtstrahlen nach oben und nach unten bewegt werden. Machen Sie sich klar: Einzelne Lichtstrahlen können nicht miteinander kommunizieren. Wenn Sie auf einem Lichtstrahl reiten, verhindert die Kausalität, dass Sie mit jemanden sprechen, der auf einem benachbarten Lichtstrahl sitzt. Diese Lichtstrahlen sind nicht miteinander verknüpft. Man kann sie relativ zueinander nach oben und nach unten bewegen. Dieses Gleiten wird als Supertranslation bezeichnet.

In gewisser Weise sieht es aus, als ob nichts geschieht. Denken Sie an ein Bündel von unendlich langen Strohhalmen; einen bewegen Sie nach oben und den anderen nach unten relativ zu dem einen. Verändern Sie überhaupt etwas oder nicht? Wir konnten zeigen, dass Sie tatsächlich etwas verändern. Es stellte sich heraus, dass das Hinzufügen eines weichen Gravitons eine alternative Beschreibung der Supertranslation ist, also des Gegeneinanderverschiebens von Lichtstrahlen.

Das ist Supertranslation auf Schwarzen Löchern. Solche Supertranslationen wurden in den 1960er Jahren eingeführt. Damals wurde jedoch nicht über diejenigen Lichtstrahlen gesprochen, welche die Grenze der Raumzeit auf dem Horizont eines Schwarzen Lochs bilden, sondern über solche Lichtstrahlen, welche die Grenze der Raumzeit im Unendlichen formen. Die ganze Geschichte begann mit der Analyse der Supertranslationen.

Das bedeutet, die soften Photonen und Gravitonen, die durch Supertranslationen quasi implantiert werden, speichern Informationen als "Quantenpixel" auf einer informationsspeichernden "holografischen Platte". [Anmerkung der Redaktion: Für eine schnelles Verständnis des holografischen Prinzips empfiehlt es sich, diesen Film anzuschauen.] Wie genau speichern sie Informationen? Was bedeutet es für ein Null-Energie-Photon, auf dem Horizont eines Schwarzen Lochs zu sitzen und Informationen über ein Teilchen zu speichern, das im Loch verschwand?

Lassen Sie mich zunächst ein softes Photon oder Graviton im flachen Raum betrachten. Da die Energie dieses Teilchens gegen null geht, breitet sich seine Wellenlänge über einen immer größeren Bereich aus. Und sobald seine Energie gleich null ist, kann man sich vorstellen, dass das Teilchen gewissermaßen am Rand der Raumzeit lebt. Jetzt ist der Horizont eines Schwarzen Lochs aber eine dreidimensionale Oberfläche. Dort gibt es die beiden Winkelrichtungen einer Kugel. Und dann gibt es die zeitartige Richtung, die tatsächlich lichtartig ist, weil der Horizont sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Und diese lichtartige Richtung hat eine Begrenzung. Wenn man bis zum Ende dieser Lichtstrahlen geht, erreicht man den Rand. Und an diesem Rand befindet sich das Hologramm. Deshalb kann man sagen, die soften Photonen oder Gravitonen, die zu einem Schwarzen Loch hinzugefügt wurden, leben auf diesem Rand.

Wir zeigen, dass, sobald ein geladenes Teilchen in einem Schwarzen Loch verschwindet, ein softes Photon am Rand hinzugefügt wird. So fügt man also "Haare" an das Schwarze Loch. Und ganz allgemein: Sobald irgendein Teilchen hineinfällt – alle Partikel tragen ja Masse und sind an die Schwerkraft gekoppelt –, wird immer ein softes Graviton hinzugefügt. Es gibt also gewissermaßen eine Art Aufzeichnungsgerät. Diese soften Photonen und Gravitonen speichern Informationen über das Teilchen, das im Schwarzen Loch verschwand. Durch diesen Mechanismus wird unendlich viel mehr Information gespeichert, als wir bisher angenommen haben. Nun, ob wohl sämtliche Informationen dadurch erfasst werden…? Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Antwort darauf Nein ist. Aber es gibt Verallgemeinerungen dieses Mechanismus, und das macht es noch viel verwirrender.

[...]

Ich habe eine Liste von 35 Problemen, deren Bearbeitung jeweils viele Monate dauern wird. Als theoretischer Physiker hat man eine wunderbare Arbeit. Denn es gibt Dinge, die wir nicht verstehen, aber wir können Berechnungen anstellen, die auf jeden Fall zur Klärung beitragen. Im Interview habe ich es bislang nicht erwähnt, aber es ist gibt etwas viel Umfassenderes und Größeres und zugleich Rätselhafteres als die Supertranslationen, nämlich die Superrotationen.

Superrotationen?

Sie sind eine andere Art von Symmetrie im Unendlichen, wo man die Strahlen nicht nur hoch- und runterschiebt, sondern sie relativ zueinander bewegt. Man kann sie vertauschen. Wenn wir den Sinn dahinter verstehen, werden sie bestimmt noch viel wichtiger werden. Es handelt sich um eine wirklich spannende Angelegenheit. Supertranslationen versteht man bereits seit den 1960er Jahren. Die Superrotationen hingegen sind etwas, was die Menschen gerade erst begonnen haben zu entdecken – vor etwa zehn Jahren. Dennoch haben wir in den letzten zwei Jahren schon eine Menge über die Superrotationen gelernt.

Quelle
 
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