Barrierefreiheit bedeutet Verweichlichung?
09.09.10, 11:35:15
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Dieses Thema scheint mir immer wieder mal im Hintergrund mitzuschwingen, es ist nicht ganz neu und doch wurde es soweit ich mich entsinne länger nicht mehr direkt diskutiert.
Es ist ein grundsätzliches Problem z.B. als NA-Elter entscheiden zu müssen, wann ein autistisches Kind "sich anstellt" oder "Grenzen austestet" und wann eine Situation besteht, die für das Kind ein ernstes Problem darstellt.
Wird beim "sich anstellen" zu viel rechtgegeben wird, wird das Kind vielleicht "zu verwöhnt". Wird in ernsten Situationen falsch gemutmaßt das Kind stelle sich an und ein Problem nicht beseitigt können die gesundheitlichen Folgen verheerend sein.
09.09.10, 14:07:40
Gabi
Ich denke es ist immer eine Gradwanderung wenn man Kinder hat sie nicht zu sehr zu verwöhnen ... ich finde Kinder sind im allgemeinen schon sehr verwöhnt heut zu Tage zu sehr auf Konsum orientiert meine ich damit viele eltern wollen am Wochenende ausschlafen und die Kinder sitzen vor dem fernseher wenn sie wach sind und da fängt es schon an sie sehen eine werbung und das gequängel geht los manche Eltern kaufen dem Kind dann das gewünschte damit sie wieder ihre Ruhe haben das geht dann weiter in der Schule usw. alle anderen dürfen und haben ...nur ich nicht und viele eltern wollen nicht zurückstehen kaufen dann Markenklamotten und und was eben alles so "benötigt" wird bei einem Autistischen Kind ist das nicht so einfach freut ein NA Kind sich über neue Schuhe und findet sie schön so weiß ich von Norman noch dass er immer ein großes gejammer angestellt hat im Dorfschuhladen aber er brauchte neue Schuhe weil die alten zu klein waren ... er wollte aber nie neue Schuhe haben die Verkäuferin da ist jedesmal verzweifelt wenn wir wieder ankamen ... und auch so wollte Norman nie Spielsachen haben oder so wie seine Schwester immer Geschenke Geschenke ...sie war verwöhnt Norman wollte all das nicht das hat ihn nicht interessiert und weil das so war wurde eben immer gesagt ...bei dem ist Hopfen und Malz verloren jeh eher du dich damit abfindest um so besser ...Erzieher ,Psychologe ,Ärzte überall und so nahm das Unglück seinen Lauf man darf da nicht hinhören und / oder resignieren muss Wege suchen bis man den richtigen gefunden hat ...also Norman verwöhnen geht gar nicht er will nur das haben was er braucht ... aber das braucht er dringend und wird ihm das verwehrt kommt es zu den von dir angesprochenen gesundheitlichen verheerenden Folgen die so schwer sind wieder aus der Welt zu schaffen ich habe es spät erkannt ...man sagt ja dass manche früh lernen andere spät und wieder andere nie ...ich hoffe wirklich dass alle Eltern von Autisten in der Lage sind gerade jetzt mit Hilfe des Internets und auch dieses forums hier wo mit Autisten kommuniziert werden kann wenn man nur will früh genug begreifen können bevor es zu solchen schweren Schäden kommt wie bei Norman . L.G.Gabi
09.09.10, 21:04:09
Schömezi
Mir fällt auch schwer zu erkennen, wann dieses "sich anstellen" ein Zeichen von Über- und wann von Unterforderung ist. Aber eines von beiden scheint es häufig zu sein.
09.09.10, 21:20:06
elfenohr
Seit Pascal in den KiGa geht, ist er zuhause sehr auf seine Struktur bedacht. Das Auto darf nur links parken, Mama muss die Schuhe an der Tür ausziehen und ordentlich verstauen, ins Bad möchte er getragen werden, aber nicht durch die Wohnzimmer- sondern durch die Küchentür.
(Ich glaube, so kompensiert er die Situationen im KiGa, die er nicht kontrollieren kann - Hausschuhe müssen z.B. getragen werden, obwohl er nur barfuss laufen mag.)
Das bedeutet für mich keine Einschränkung, also warum sollte ich rechts parken und Schuhe anlassen wenn mein Sohn dann total verzweifelt ist und sich die nächste Stunde nicht beruhigen lässt?
Ich finde nicht, dass das etwas mit "verwöhnen" zu tun hat, auch wenn mir einige Menschen das gespielt scherzhaft vorwerfen.
Verwöhnen kann man meiner Meinung nach nur mit materiellen Dingen.
Nicht mit Verständnis und Liebe.
09.09.10, 21:45:08
zoccoly
Zum Thread ein eindeutiges nein, Barrierefreiheit hat nichts mit Verweichlichung zu tun, sondern ist die Voraussetzung für eine normale Entwicklungschance des Autisten.
Unter diesem Aspekt ist festzustellen, dass es heute eine normale Entwicklung nicht geben kann. Zu viele Barrieren sind von Seiten der Gesellschaft vorhanden, mit denen sich der Autist leider immer noch konfrontiert sieht.
Um so zwingender ist es erforderlich, dass die Barrierefreiheit zu Hause gegeben ist, da das der einzige Ort sein muss und im optimalen Fall ist, in dem der Autist Kraft/Energie „auftanken“ kann.
Dieser dort angelegte „Speicher“ ist nur eine „Kurzzeitreserve“, die schnell wieder im „Außen", sei es Kita, Schule, Arbeit, der „normale“Straßenverkehr aufgebraucht ist.
Man kann als Elternteil nicht alle Barrieren aus dem Weg räumen, muss aber für eine „heile Welt“ zu Hause sorgen, muss beobachten, wie das Kind im Draußen zu recht kommt und notfalls immer wieder die Bedingungen (Kita,Schule) wechseln, damit eine halbwegs normale Entwicklung möglich ist.
Das hat alles nichts damit zu tun, dass ich mein Kind nicht fordere und fördere, sondern nur mit den äußerst ungünstigen Umständen, denen ein A ausgesetzt ist, die erkannt werden müssen.
09.09.10, 22:14:25
wolke7?
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen bzw. ins Gegenteil.
" Barrierefreiheit bedeutet Stärkung ! "
Indem dafür gesorgt wird, dass Energie nicht unnötig für unangebrachte Abläufe, Handlungen, "Mehr-Konzentration", Rückzug, Schreien, etc.
aufgewendet werden muss, steht diese für sinnvolle und angenehme Tätigkeiten und Wünsche zur Verfügung.
Was wiederum zB. zur besseren Entwicklung beiträgt.
09.09.10, 22:41:57
Schömezi
Einerseits gebe ich Wolke7? absolut recht. Andererseits ertappe ich mich aber auch, dass ich meiner Tochter Handlungen abnehme, die sie eigentlich selber ausführen könnte. Und wenn dies ein paar mal zu oft geschieht, besteht sie darauf, dass ich es tue. Dann merke ich, dass ich wieder gegensteuern muss, damit ich sie nicht zur Unselbständigkeit erziehe.
Wobei mir klar ist, dass dies dann keine Barrierefreiheit sondern Bevormundung ist. Aber die Grenze zwischen den beiden ist manchmal fliessend.
10.09.10, 09:52:00
starke Dame
Ich versuche es immer richtig zu machen, doch würde ich lügen wenn ich behaupte, dass ich nicht doch mal falsch liege. Ich denke, es ist nicht schlimm wenn man bei einer neuen Situation falsch liegt, wenn man sich das merkt und bei dem erneuten Auftreten dieser Situation für das Kind angemessener reagiert.
Wobei es auch ganz wichtig bei uns ist, habe ich etwas falsch gemacht, entschuldige ich mich. Auch Erwachsene müssen Fehler zugeben und dazu stehen.
Wegen dem Verwöhnen, in der heutigen Gesellschaft wird es immer seltener das Paare sich für mehr als ein Kind entscheiden. Wenn man ein Kind, bzw. so wie bei mir zwei Kinder und eine außer Haus lebende Stieftochter hat, sind diese Kinder für einen etwas ganz besonderes. Wenn ich diese drei Kinder beobachte, geht mir das Herz auf, ich spüre wie sehr ich sie liebe und ihnen ein gutes Lebensgefühl geben möchte.
Dafür müssen die Kinder sich geliebt, behütet und auch schon einmal verwöhnt fühlen. Ich weiß was jedes einzelne Kind zu leisten vermag, sehe aber doch auch Ausnahmetage, an denen das Kind nicht das gleiche leisten kann, weil es einfach einen schlechten Tag hat. Dann ist es selbstverständlich, dass ich doch einmal mehr mache.
Wir können uns erlauben, dass ich zu Hause bleibe, dementsprechend bekommen unsere Kinder mehr Zuwendung als bei einem berufstätigen Ehepaar.
Wir leben fast ohne Fernsehen, ich finde es macht zu sehr die Fantasie neues zu entdecken kaputt, also kommt es immer häufiger vor, dass es nur noch zum Spätprogramm eingeschaltet wird.
Das materielle, wir geben sehr viel Geld für unsere Kinder aus, für Spielsachen, Bücher und außerhäusigen Aktivitäten. Es stimmt das mein Sohn dieses nicht nachfragt, ich hätte ihn damals auch in einem leeren Zimmer setzen können und er wäre vielleicht mit ganz wenigen Dingen zufrieden gewesen.
Bei uns ist aber ein ständiges Angebot, ob jetzt Holzeisenbahn, Kugelbahn, Lego, Playmobil, Bauklötze oder Musikinstrumente. Es ist alles in diesem Kinderzimmer vorhanden, so dass, wenn es mal abends mit dem einschlafen nicht so funktionieren will, ich die Kasperpuppen hervorhole und Kasper mit dem Polizisten diskutiert warum jetzt mein Sohn nicht einschlafen will und es folgt ein kleines Theaterstück, bei dem dann auch mein Sohn lachen muss und sich anschließend meist den Polizisten aussucht um ihn mit ins Bett zu nehmen.
Der Kaufladen ist bei uns ebenso selbstverständlich vorhanden wie Mal- und Bastelutensilien und dann spielen wir gemeinsam im Kinderzimmer. Es gibt immer einen aktuellen Favoriten, aktuell ist es die Holzeisenbahn, es werden alle Schienen verlegt, drei Batterieloks sind im Einsatz und es macht beiden Kindern spaß.
Ich weiß nicht ob man es als verwöhnt betrachten kann, denn ein Kind das viel spielt entdeckt seine Welt, lernt beim Spielen fürs Leben.
Genauso wie es wichtig ist täglich mit den Kindern an die frische Luft zu gehen. Ich denke viele Dinge waren früher auch so üblich, die Mama war zu Hause, hat den Haushalt gemacht und mit ihren Kindern gespielt und ist spazieren gegangen. Heutzutage, bekommen leider die Kinder viel zu oft eine Spielkonsole in die Hand gedrückt, oder haben mit 2 Jahren schon einen eigenen Fernseher mit DVD-Player im Kinderzimmer, es gibt von früh bis spät nur diese vorgekauten Synapsenkiller und rausgehen - kann man ja Morgen machen, und am nächsten Tag heißt es wieder, wir gehen Morgen raus.
Am Wochenende freut man sich, dass man endlich Ruhe hat und hängt den ganzen Tag vor dem Fernseher ab.
Dieses Schreckenszenario spielt sich garantiert in vielen Haushalten ab, ich denke man hat einfach vergessen, wie man bewusst mit Kindern lebt.
In der heutigen Zeit sehe ich bei vielen, die Kinder laufen nebenher mit und werden von alleine groß und keiner kümmert sich darum, außer Erzieher im Kindergarten und Lehrer. Die Eltern sehen in vielen Dingen gar keine Verantwortung, ihren Kindern Anreize zu geben - und am Ende heißt es, was soll ich denn noch alles machen, das Kind muss sich halt anpassen, es muss selbstständig sein und der Autist soll genauso funktionieren wie alle anderen Kinder auch.
Ich sehe viel mehr in meinen Kindern und in dem gemeinsamen Leben mit den Kindern. Mag sein, dass ich nicht alles richtig mache, dass ich viel verwöhne, doch komischer weise sind es trotzdem ganz liebe Kinder, die selbstständig sind, nicht materiell eingestellt sind und sich auch mit wenig zufrieden geben können.
Dementsprechend würde ich bei meinen Kindern gesundheitliche, bzw. seelische Spätfolgen ausschließen.
Trotzdem halte mich viele für verückt, da ich so viel rausgehe, spiele und kaufe. Sie sagen, Du bist verrückt, sie sagen, wo nimmst Du die Nerven her, es gibt viele, die mir gegen über ihr Unverständnis mitteilen.
10.09.10, 23:33:14
Fundevogel
Bei uns ging es durch unser beider Berufe tagsüber "bunt durcheinander" (Dienststelle im Haus). Das wurde von unserem Kind akzeptiert.
Abends wünschte unser Junge eine Einschlafzeremonie von über einer Stunde, die nach genau festgelegten Regeln erfolgen musste. Ausgewählte Bettwäsche, Plazierung der Kuscheltiere, Resümee des vergangenen Tages, Aussicht auf den neuen Tag mit seinen Planungen, Versprechen des frohen Miteinanders als letzten Gedanken des Tages,
und dann ein Buch vorlesen wie ein Rollenspiel: die verschiedenen Personen mussten alle mit einem besonderen Tonfall ausgesprochen werden, der ihrem Naturell entsprach (schüchtern, protzig...)bei "Gajus, der Lausbub aus dem alten Rom" (alle Bände) war ich zeitweise überfordert, mir die Stimmen zu merken. Dann gab es einen Rüffel, denn mein Junge hatte jeden Tonfall in Erinnerung.
(Es ist ein tolles Buch, in dem man spielerisch viel über Kinder, Veranlagung, Handlungsmöglichkeiten und römisches Alltagsleben erfahren kann.)...
und abschließend getrennte Verabschiedung von Vater und Mutter, damit er ganz allein mit dem jeweiligen Elternteil in seinem Zimmer sein konnte.
Wir respektierten gegenseitig, welche Bedürfnisse vorlagen, um unser Leben leben zu können und gaben wechselseitig so viel Aufmerksamkeit wie möglich.
Ich sah und sehe Verwöhnen positiv, solange es um menschliche Zuwendung geht, die von allen Beteiligten (in verschiedenster Form) getragen wird.
Bei finanziellen Gaben, Luxusgütern, Statussymbolen allerdings prüfte ich sehr genau, ob sie für die Entwicklung des Kindes/Jugendlichen geeignet waren.